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Erster Allgemeiner
Zuhördienst

Ermutigung zur Wahrheit

Wer aus welchem Grunde zum Zuhördienst kommt und diesen in Anspruch nimmt, das hat den Zuhörbediensteten nicht zu interessieren: Er ist für jede und jeden da.

Auch was die Kunden sagen, ob sie etwas sagen und was sie überhaupt mit der bezahlten Zeit anfangen, interessiert den Dienstleister nur insofern, als er genau das erkennen muß, um sich dementsprechend auf den jeweiligen Kunden so gut wie möglich einstellen zu können. Dann kann der Zuhörer dem Kunden folgen, wohin auch immer dieser gehen möchte.

Weil der Gehörsuchende aber, wenn er den Zuhördienst in Anspruch nimmt, offensichtlich niemanden hat, der ihm ausreichend Gehör schenkt, und weil er sich in einer gewissen Notlage zu befinden scheint, gehen wir beim Zuhördienst davon aus, daß der Kunde kein Geld für ein offenes Ohr ausgeben wird, um Unsinn oder irgendein Blabla von sich zu geben – auch wenn ihm dies selbstverständlich frei steht –, sondern statt dessen die Zuhörzeit dazu nutzen möchte, etwas zu sagen, das für ihn von Belang ist. Er scheint triftige Gründe zu haben, den Zuhördienst aufzusuchen.

Hinter seinem Entschluß, den Zuhördienst in Anspruch zu nehmen, müssen störende negative Gefühle und eine gewisse Not vermutet werden. Diese Gefühle müssen stark sein. Es können Gefühle der Ausweglosigkeit und der Verzweiflung sein. Oder es sind im Gegenteil zu schwache Gefühle, es ist vielleicht die Abwesenheit von Gefühlen – Leblosigkeit, Sinnlosigkeit, Leere und Langeweile –, die freilich auch zur Verzweiflung, letzten Endes also doch wieder zu starken Gefühlen führen.

In jedem Fall werden sie aber so vorherrschend sein, daß sie sich immer wieder in das Bewusstsein des Kunden drängen, daß er diese Gefühle oder quälenden Gedanken nicht los wird. Wir können sagen, daß diese negativen Dinge, die ihn ihn spürbar bedrängen und derentwegen er den Zuhördienst aufsucht, vom Kunden wahrgenommen werden, daß sie also eine Wahrheit darstellen, d.h. wirklich vorhanden sind, und daß der Kunde sie in ihrer Wirklichkeit benennen will, um sie los zu werden. Er will also die Wahrheit sagen oder hat zumindest den Wunsch dazu. Dieser Wunsch kann von Angst in der Erfüllung behindert werden.

Das, was der Kunde sagen und loswerden möchte, scheint also nichts Erfundenes oder Erlogenes zu sein. Das, worüber der Kunde etwa klagt, wird eher etwas Tatsächlichem entsprechen, wird eher etwas Wahres sein als etwas Falsches, aus dem einfachen Grund, weil er es in sich verspürt. Mal mehr, mal weniger deutlich. Die Wahrheit ist das, was man wahrnimmt, was man also verspürt. Ganz offenbar ist es etwas zumindest für ihn Wahres, ist es die Wahrheit des Kunden oder ein Teil davon, die er mitteilen und loswerden will und die ihm zu seinem Leidwesen sonst keiner in seiner Bekanntschaft richtig abnimmt.

Der Zuhörende wird das Wahre, was er als Wahres beim Kunden sieht und verspürt, lieber hören als das Falsche. Das Wahre macht seine Dienstzeit interessanter, weil es in ihm eine Resonanz bewirkt, weil der Dienst dann eine lebendige und keine tote Zeit sein wird; weil auch er dann etwas verspürt. Das Falsche wird schnell langweilig. Auch wenn er dafür bezahlt wird, sich alles anzuhören – der Kunde wird schon seinen Grund dafür haben, sein Geld dafür auszugeben, etwas Falsches zu sagen, etwas, das er eigentlich nicht fühlt –, wird der Zuhörbedienstete also das Wahre dem Falschen vorziehen, hat er ein Interesse daran, daß der Kunde ehrlich ist. Der Kunde will, daß ihm zugehört wird – dafür bezahlt er ja –; er soll wissen, daß, je wahrhaftiger er ist, desto besser ihm zugehört werden kann. Dem Zuhörer fällt es schwerer, Belanglosem zu folgen. Er nimmt lieber teil und Anteil an dem, was der Kunde an Wahrem sagt. Er zieht es vor, daß der Kunde etwas Richtiges sagt. Der Zuhörer wird also dem Kunden signalisieren, daß dieser – im Gegensatz zu manchem Freund oder Familienangehörigen –, seine Wahrheit, die er loswerden will, ausspricht: Er darf und soll – wenn ihm danach ist – z.B. solange jammern und klagen, wie er will.

Das Interesse des Zuhörenden am Wahren in der Rede des Kunden mag zur Ermutigung beitragen, daß der Kunde seine Wahrheit sagt. Und wenn es das Motiv des Kunden, den Zuhördienst aufzusuchen, ist, das Wahre – aber Leidvolle – loszuwerden, dann steigert es die Qualität des Dienstes, wenn der Zuhörer den Kunden genau dazu ermutigt, wenn er ihm das Gefühl gibt, daß er ihm die Wahrheit, seine Wahrheit, sagen kann, wie befremdlich oder unwahrscheinlich diese auch immer aussehen mag.

Natürlich drängt er den Kunden nicht zur Wahrheit – seine Rolle ist zuallererst die eines Zuhörers und eine passive. Aber der Zuhördienst möchte dem Kunden deutlich zu verstehen geben, daß dieser ihm in aller Ruhe oder auch Dramatik sein Herz ausschütten kann. Mit Worten oder Tönen signalisiert er dem Kunden, daß er ihn versteht und ihm folgt. Damit hält er das Mitgeteilte im Fluß bzw. sorgt er für ein Flußbett, in dem sich die Erzählung ausbreiten und vorankommen kann, in dem die Sorgen abfließen können, auf daß der Kunde sie los wird. Der Zuhördienst ermutigt also den Kunden zum Redefluß; er ermutigt ihn, alles auszusprechen und am besten nach und nach die ganze Wahrheit zu sagen. Manchmal ermutigt er ihn auch – wenn dem Kunden danach ist – zu schweigen und ganz auf sein Inneres zu achten oder auch seine Müdigkeit als solche sein zu lassen. Darin liegt eben dann die Wahrheit.

Der Zuhördienst macht um so mehr Sinn – sowohl für den Zuhörer als auch für den Kunden –, je mehr die Wahrheit gesagt oder „gesein“ wird. Die Qualität des Zuhördienstes nimmt in dem Maße zu, in dem der Kunde von sich aus bei der Wahrheit bleibt und es dem Zuhörer gelingt, den Kunden dazu zu ermutigen, so viel wie möglich von der Wahrheit auszusprechen.

Im Rahmen dieser Ermutigung, die Wahrheit zu sagen – in der selbstverständlich keinerlei Zwang liegt, weil eine freie Vereinbarung zwischen Zuhörer und Kunde vorliegt –, erlauben wir uns, einige Überlegungen zum Thema „Wahrheit“ und deren guter Wirkung auf Körper und Seele darzulegen.
 

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